THE LOCKDOWN DIARIES
Die vorliegende Serie ist während der Lockdowns 2020 und 2021 entstanden.
Das Projekt war nicht geplant, die Bilder waren nicht geplant, die Veröffentlichung war nicht geplant.
In ihrem Kern sind die „Lockdown Diaries“ Dokumente einer Stimmungslage, einer psychischen Situation, die sich in der Entstehung dieser Fotos ihren Weg gebahnt hat.
Harter Lockdown #1: 16.3. – 30.4.
Ausnahmesituation.
Binnen Tagen fühlt sich unsere Welt komplett surreal an.
Menschen hamstern Klopapier und Nudeln, lassen im Krankenhaus Masken und Desinfektionsmittel mitgehen.
Ein warmes Osterwochenende.
Im Höllental nur ein einziges Motorrad in Stunden.
Während der Pandemie habe ich in meinem Umfeld die verschiedensten Reaktionen auf die veränderte Situation erlebt.
Psychische und existenzielle Krisen haben sich aufgetan. Aus kleineren Spleens wurden Obsessionen. Menschen sind erkrankt, gestorben oder gerade noch einmal davon gekommen.
Andere sind in der erzwungenen Ruhe und den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen aufgeblüht. Aber die meisten Menschen in meiner Umgebung, inklusive mir, waren mit zusätzlichen Stressfaktoren konfrontiert: soziale Enge oder Einsamkeit, Entzug diverser Grundrechte, Verzicht auf gewohnte Freiheiten, Ungewissheit, Perspektivlosigkeit.
Harter Lockdown #2: 17.11. – 6.12.
Kaltenleutgeben.
Der Winter kommt, die Zahlen steigen.
Ein Auftrag hat mich nach Kaltenleutgeben gebracht.
Arbeiten ist erlaubt, zur Erholung im Freien sein auch.
Mittlerweile wissen wir, wie Lockdown geht.
Ruhelosigkeit durch das ständige Verfolgen der „Zahlen“, das andauernde Evaluieren der Maßnahmen, die die Politik daraus ableitet.
Angst. Angst vor dem Virus, der Zukunft, den gesellschaftlichen und politischen Veränderungen, die sich aus dieser Krise ergeben könnten.
Ein Gefühl des Kontrollverlustes.
Ein Knoten im Solarplexus, der nicht mehr weg geht.
Harter Lockdown #2: 17.11. – 6.12.
Großes Höllental.
Anspannung. Erschöpfung.
Meine Gefühlslagen während dieser Zeiten waren recht unterschiedlich und schwankten zwischen Zuversicht und Dankbarkeit über Gesundheit, Familie und soziale Netze, materielle Machbarkeiten auf der einen Seite und emotionalem Stress und Perspektivlosigkeit auf der anderen.
Während mancher Phasen der Pandemie habe ich mich gefühlt wie ein Raubtier im Käfig.
Während anderer war wenig Hoffnung übrig.
Harter Lockdown #3: 26.12. – 7.2.
Drei Stunden Auslauf, zur Bodenwies und durch die Eng wieder retour;
Verfall und Zerstörung, aber auch eine tiefe Ruhe.
Ab und zu – selten genug – hatte ich die Möglichkeit, „raus“ zu gehen in Gegenden, wo ich kaum jemanden treffen würde. Immer war ich dabei alleine, immer wollte ich im Gehen Ruhe finden.
Die Kamera war mit dabei, aber es gab kein Motiv als Ziel, keinen Plan. Mir war egal, ob dabei überhaupt Fotos entstehen.
Der Zweck der Ausflüge waren die Bewegung und eine kurze Pause vom Alltag der Pandemie.
Von manchen dieser kleinen Exkursionen konnte ich viele Wochen zehren, wenn der Alltag der Lockdowns wieder zugeschlagen hatte.
Harter Lockdown #3: 26.12. – 7.2.
Der Winter ist da.
Einen neuen Platz entdeckt, ganz für mich allein.
Mit zunehmender Dauer der Pandemie – im Laufe des Winters mit seinem ständigen Auf- und Zusperren, dem andauernden Homeschooling und dem auch schon gewohnten Gang der Dinge – stellte sich bei mir langsam eine anhaltende dumpfe und abgestumpfte Grundstimmung ein.
Irgendwann habe ich dann auch einen Zusammenhang zwischen den Bildern der einzelnen Ausflüge gesehen – einen emotionalen roten Faden, der sich durch die Aufnahmen zieht.
Dann stolperte ich über den Begriff des „Languishing“.
Languishing – „to exist in an unpleasant or unwanted situation, often for a long time“ – bezeichnet einen psychischen Dämmerzustand, der sich durch fehlendes emotionales Wohlbefinden auszeichnet.
Der Psychologe Adam Grant bezeichnet Languishing als „the void between depression and flourishing – the absence of well-being.“.
Eine Zwischenwelt zwischen Krankheit und Gesundheit, in der ein Gefühl der Leere und des Feststeckens vorherrschen.
Lockdown „light“ #2: 8.2. – 19.5.
Holzernte.
Schwarzkiefern, meine ziemlich liebsten Bäume.
Angezogen von den Geometrien der liegenden Stämme und weitgehend emotionslos sammle ich die Szenen.
Die sporadischen Ausflüge habe ich zunehmend als Reisen in mich selbst gesehen. Das Fotografieren wurde dazu das Vehikel.
Die Landschaften selbst – vor allem deren Einsamkeit – waren wichtig für diesen Prozess der Introspektion. Sie waren aber weniger Motiv in einem klassischen Sinn als Projektionsfläche für die inneren Landschaften und Stimmungen.
Lockdown „light“ 2: 8.2. – 19.5.
Kurzer Spaziergang am Nachmittag.
Unterzucker und einsetzender Regen.
Der letzte Ausflug führt zu Stunden des Fotografierens. Immer weiter hinein in ein verlassenes Tal, in die Spuren der Vergangenheit und der Geschichte des Ortes, in Einsamkeit, Verlassenheit und leicht dystopische Szenerien.
Lockdown „light“ 2: 8.2. – 19.5.
Hintergebirge
Das hier war so nicht geplant. Das eigentliche fotografische Ziel verwerfe ich wegen der Lage vor Ort und des Lichtes. Die Landkarte weist den Weg aus der menschlichen Infrastruktur in „urwaldartige Gegenden“ des Nationalpark Kalkalpen.
Waren die Kurztrips bisher eher dem Abschalten gewidmet wird dieser hier länger, stärker, tiefer.
Die Kontrolle über die Motivauswahl habe ich irgendwann bewusst abgegeben. Rational war mir nicht mehr klar, warum ich etwas Bestimmtes fotografiere, und dabei habe ich es bewenden lassen. Es gab eine Form der Resonanz, die ich beobachtet habe ohne mich einzumischen. Der kognitive Teil des Hirnes war mit Sehen und Kompositionsarbeit beschäftigt, sonst bin ich in der Landschaft aufgegangen.
Stunden später auf dem Weg hinaus meldet sich langsam wieder das kritische Bewusstsein und fragt nach dem Sinn und dem Wert dessen, was ich hier gerade tue.
Ich habe keine Ahnung.
Mehrere Tage lang empfinde ich tiefe Erschöpfung und Leere.
Das Projekt ist vorbei.
Die Lockdowns sind vorbei.
Die Pandemie ist vorbei.
Nicht tatsächlich, aber emotional habe ich an diesem Tag damit abgeschlossen.
Lockdown „light“ #2: 8.2. – 19.5.
Hintergebirge.
Der Weg zurück.
Was bleibt?
Das Auftauchen aus einem Sumpf.
Es bleibt Dankbarkeit – niemand aus meinem näheren Umfeld ist gestorben, niemand hat ernsthafte existentielle Probleme bekommen. Die Familie – zusammengeschweißt durch die intensive gemeinsame Zeit. Der Freundeskreis – intakt und einigermaßen vollständig. Wir leben noch in keinem Polizeistaat und es hat dann doch nur relativ wenigen Mitmenschen – pardon – komplett die Sicherungen durchgeschossen.
Und dennoch.
Es bleiben Wunden.
Es bleibt Erschöpfung.
Es bleibt eine Leere.
Es bleibt der Weg zurück in eine Normalität, in der längst nicht alles gut ist, aber in der die ständigen Belastungen der Pandemie wegfallen. In eine Normalität, die auch vorher nicht ganz unbeschwert war.
Es bleibt viel zu tun.